
Living Nature 2021
Radeln, sägen, gärtnern – und speisen wie Gott in Frankreich
Von Marvin Meyer und Franziska Ruf
Berlin. Rote Beete sprießt aus dem Boden, Blüten der Kapuzinerkresse schmücken das Beet und die Luft riecht nach Erde und Kräutern. Wo diese Atmosphäre in der Großstadt zu finden ist, offenbarte der „Living Nature“-Austausch des Centre Francais in Berlin. Mit einem Schwung aufs Rad begannen die meisten Abenteuer: von der Gartenrallye über die Havel-Radtour bis zur Besichtigung einer Solidarischen Landwirtschaft. Dabei entdeckten die 17-26-jährigen Teilnehmer*innen Ideen, die Natur in die Großstadt zurückzuholen, und verewigte sich auf besondere Weise im Rote-Beete-Garten.
Das kreativste Konzept hätte die Gruppe beinahe übersehen: Inmitten von Grabsteinen suchte sie nach dem „Prinzessinnengarten“ – und befand sich derweil inmitten dessen. Das Prinzessinnengarten-Kollektiv bepflanzt den St. Jacobi Friedhof in Neukölln. Die gesamte Fläche zieren Hoch- und Staudenbeete, Bereiche für Kinder und soziale Treffpunkte wie das Gartencafé oder die Selbsthilfe-Fahrradwerkstatt. Einen anderen Garten fanden die Teilnehmer*innen ebenfalls auf ungewöhnlichem Terrain: auf dem alten Flugplatzgelände am Tempelhofer Feld. Auch hier wusste man ungenutzte Fläche wiederzubeleben. Insgesamt lautet das Fazit der Gruppe: Vielfalt macht die Gärten aus, in ihrer örtlichen Umsetzung, in den Beeten und auch in den Menschen, die dort zusammenarbeiten.
Weiter gingen die Entdeckungen entlang der Havel: Auf ihrer Radtour von Brandenburg nach Werder blickte die Gruppe bis nach London – oder zumindest in die Richtung. Auf dem Aussichtsturm am Götzer Berg erfuhr sie die Entfernung zur britischen Hauptstadt oder die nach New York oder Peking auf den Kilometer genau. Natürlich waren auch Brandenburg und Potsdam auf dem Turm ausgewiesen. Nach der Pause radelten die Teilnehmer*innen weiter entlang dem Fluss und beobachteten Wildgänse, die sicher auch schon eine lange Reise hinter sich hatten.
Wie Landwirtschaft funktioniert fernab des kapitalistischen Systems, erfuhren die Teilnehmer*innen auf dem „Spörgelhof“ im Nordosten Berlins. Dort betreiben die Bewohner*innen Solidarische Landwirtschaft. Bei dieser Art der Bewirtschaftung steht das Gemeindewohl im Vordergrund. Es gibt einen Verein und dessen Mitglieder beteiligen sich mit einem monatlichen Beitrag im Voraus an der Produktion. Dafür erhalten sie einen Teil der Ernte – und Gewissheit für biologisch und fair erzeugte Lebensmittel. Es profitieren also beide Seiten: die Landwirte, die die Sicherheit haben, ihren Anbau finanzieren zu können, und die Mitglieder, die frisches Gemüse bekommen. Wie die Arbeit auf dem Hof funktioniert, probierten die Teilnehmer*innen selbst aus. Sie jäteten Unkraut und ernteten Gemüse, mit dem sie ihr Mittagessen kochten.
Sägen, Schleifen, Streichen, Hämmern – das stand als letztes Projekt der deutschen und französischen Teilnehmer*innen auf dem Programm und forderte ihren Teamgeist heraus. Zusammen bauten sie eine Holzbar für den „Rote Beete Garten“ des Centre Francais. Dies war kein Problem, da alle mit anpackten: Der eine schnitt Bretter zu, die andere schliff sie, der nächste glasierte, die letzte bohrte sie an. Wo am Morgen noch ein Gerüst aus Holzbalken stand, formierte sich innerhalb eines halben Tags ein Tresen.
Wir widerlegten in der Woche die These, dass viele Köche den Brei verderben, und ließen die Abende mit gutem Essen – einmal auch mit Musik unter freiem Himmel im pädagogischen Garten –ausklingen. Es entstand innerhalb der Woche eine starke Gruppe, die gerne Zeit miteinander verbrachte. Egal ob auf Deutsch, Englisch oder Französisch – die Teilnehmer*innen fanden immer einen Weg zur Verständigung. Die Organisatoren des Austauschs, Alex und Florian, schufen eine angenehme und lockere Atmosphäre, weil sie jedem/jeder Teilnehmer*in mit Respekt begegneten und offen waren für deren Ideen. Sollte im nächsten Jahr ein Wiedertreffen stattfinden, sehen sich bestimmt Einige wieder – dann natürlich in der selbst gebauten Bar.